Seligenstadt. 36-köpfige Delegation aus Italien nimmt an Seligenstädter Wallfahrt teil / Freundschaftliche Beziehungen seit 1980er Jahren Seligenstadt (op) - Zur Wallfahrt am Sonntag, 8. Juni, erwartet die Basilika-Pfarrei auch eine 36-köpfige Pilgergruppe aus Piedimonte, einer Stadt etwa 80 Kilometer nördlich von Neapel. Die Pilger folgen damit einer Einladung von Seligenstädter Wallfahrern, die in 2006 in der italienischen Stadt waren. Denn beide Städte, so unterschiedlich sie ansonsten sind, haben etwas gemeinsam: Sie verehren Reliquien des Heiligen Marcellinus.
. Die Verbindung zu Piedimonte geht auf Professor Michele Malatesta zurück, der in den 1980er Jahren beruflich öfter in Frankfurt zu tun hatte und bei einer solchen Gelegenheit auch Seligenstadt einen Besuch abstattete, da er wusste, dass dort die Heiligen Marcellinus und Petrus verehrt würden. Bei einem dieser später wiederholten Besuche fasste er sich ein Herz und sprach im Rathaus beim damaligen Bürgermeister Karl Schmitt vor. Bald folgte eine erste Einladung nach Piedimonte. Dort wurde die kleine Seligenstädter Delegation mit "großem Bahnhof" empfangen und ein Gegenbesuch vereinbart. Acht Italiener - unter ihnen auch Malatesta - nahmen 2004 an der Seligenstädter Wallfahrt teil. Seither haben sich die freundschaftlichen Kontakte zwischen den Pfarreien in Piedimonte und der Einhardstadt weiter vertieft. Was die Historiker vor allem interessiert, ist die Antwort auf die Frage, wie Piedimonte in den Besitz von Reliquien des Heiligen Marcellinus kam. Dieselbe Frage stellten sich einst auch die Herausgeber der ‚Acta Sanctorum', jenes klassischen Heiligen-Lexikons aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Die Verfasser des Artikels über Marcellinus und Petrus, gelehrte Jesuiten, teilten die allgemein anerkannte und von Einhard in seiner ‚Translatio' begründete Auffassung, wonach Ratleik, Einhards Beauftragter für die Reliquienbeschaffung in Rom, die vollständigen Körper der beiden Heiligen einer römischen Katakombe entnommen und nach Michelstadt-Steinbach überführt habe.
Die Jesuiten, die 1695 den ersten Band des Monats Juni ihres Lexikons in Antwerpen herausbrachten, hatten Einhards Darstellung als unbezweifelbare Geschichtsquelle in ihrem Artikel abgedruckt und waren daher aufs höchste irritiert, als sie am Ende ihrer Nachforschungen feststellten, auch in Piedimonte würde der Heilige Marcellinus verehrt. Sie wandten sich an den Abt des dortigen Franziskanerklosters, Bruder Bartholomäus, und baten um Aufklärung. Von ihm erfuhren sie Folgendes:
Im Jahr 1642 habe der Bischof des benachbarten Alife, Petrus von Medici, den halben Schädelknochen des Heiligen Marcellinus von Rom nach Piedimonte gebracht, und 1685 habe Bischof Lazzara einen vollständigen Armknochen des Heiligen hinzugefügt. Beide Reliquien würden, in einer silbernen Statue eingeschlossen, in der von Bischof Petrus von Medici erbauten Kapelle verehrt. Die Statue (siehe Foto) sei ein Geschenk von Diana de Capua, der Großmutter des um 1690 regierenden Herzogs. Auf Betreiben des Herzogs selbst werde bis heute am 2. Juni ein prächtiger Umzug zu Ehren des neuen Schutzpatrons der Stadt Piedimonte und des Herzogtums abgehalten, bei dem diese Statue mitgeführt wird.
Die Jesuiten waren jedoch mit der Auskunft des Abts nicht recht zufrieden. Sie vermissten das, worauf es ihnen in erster Linie ankam und was im Kunsthandel ein Echtheitszertifikat genannt wird, nämlich die erbetenen "beglaubigten Zeugnisse" der beiden Bischöfe von Alife, ob sie die Reliquien tatsächlich, wie man vermutete, aus dem Fundus der römischen Kirche beim Lateran erhalten hatten. Ohne eine solche Beglaubigung, so die Ansicht der Jesuiten, könne die Echtheit der Marcellinus-Reliquie nicht nachgewiesen werden. In der römischen Kirche beim Lateran aber glaubt man sich heute noch im Besitz von Reliquien der Heiligen.
. In einer Informationstafel heißt es: "Die Reliquien der beiden Märtyrer sollen im 9. Jahrhundert nach Seligenstadt in Deutschland überführt worden sein, aber nach dem Bericht Einhards entsteht der begründete Verdacht, dass der berüchtigte Diakon Deusdona (...) die Erwerbungen des frommen Schriftstellers und Abts gefälscht hat, wie es so seiner Art entsprach." Einhard also von Deusdona betrogen? Das mochten die Jesuiten nicht glauben, und so beendeten sie ihren Exkurs über die Marcellinus-Reliquie in Piedimonte daher mit den lebensklugen Worten: "In solchen Dingen (gemeint ist die Heiligenverehrung) erfüllt sich oft etwas gemäß dem Vertrauen der Betenden, was dem Misstrauen der neugierig Forschenden niemals zuteil würde."
DR. MANFRED SCHOPP
. In einer Informationstafel heißt es: "Die Reliquien der beiden Märtyrer sollen im 9. Jahrhundert nach Seligenstadt in Deutschland überführt worden sein, aber nach dem Bericht Einhards entsteht der begründete Verdacht, dass der berüchtigte Diakon Deusdona (...) die Erwerbungen des frommen Schriftstellers und Abts gefälscht hat, wie es so seiner Art entsprach." Einhard also von Deusdona betrogen? Das mochten die Jesuiten nicht glauben, und so beendeten sie ihren Exkurs über die Marcellinus-Reliquie in Piedimonte daher mit den lebensklugen Worten: "In solchen Dingen (gemeint ist die Heiligenverehrung) erfüllt sich oft etwas gemäß dem Vertrauen der Betenden, was dem Misstrauen der neugierig Forschenden niemals zuteil würde."
DR. MANFRED SCHOPP